Carve-Out von Windchill-PLM-Systemen für Aerospace & Defense sowie Automotive-Zulieferer

Strategische Anforderungen, regulatorischer Rahmen und praktische Umsetzung
- Eintritt in A&D erfordert strikte Compliance, klare Governance und hochsichere Entwicklungsprozesse.
- Ein Windchill-Carve-Out schafft eine getrennte, regulierte PLM-Umgebung, ohne Synergien zum bestehenden Automotive-System zu verlieren.
- Erfolgsentscheidend sind saubere Datenselektion, ein robustes Sicherheitsmodell, sowie kontrollierte, bidirektionale Datenflüsse.
- Der Carve-Out ist ein strategisches Transformationsprojekt, kein reines IT-Thema.
- Vendor-nahe Umsetzung erhöht Qualität, Geschwindigkeit und Compliance-Sicherheit.
Executive Summary
Automobilzulieferer stehen vor der Herausforderung, sich in einem zunehmend schwierigen Marktumfeld neu zu positionieren. Rückläufige Absatzzahlen, volatile Lieferketten und anhaltender Kostendruck erhöhen die Notwendigkeit, alternative Geschäftsfelder zu erschließen. Besonders Aerospace & Defense, inklusive militärischer Anwendungen, werden zu attraktiven Zielmärkten. Sie zeichnen sich durch stabile Programme, steigende Budgets und technologisch anspruchsvolle Anforderungen aus.
Mit dem Markteintritt in diese hochregulierten Branchen wachsen jedoch die Anforderungen an Produktentwicklung und Datenmanagement. Sicherheitskritische Informationen müssen strenger geschützt, Entwicklungsprozesse detaillierter dokumentiert und Compliance-Vorgaben konsequent eingehalten werden. Unternehmen, die bereits über eine PLM-Landschaft verfügen, können diese Anforderungen in der Regel nicht innerhalb eines einzigen Systems erfüllen. Deshalb ist ein Carve-Out, also der Aufbau einer separaten, hochsicheren PLM-Instanz, eine strategische Notwendigkeit.
Diese neue Umgebung muss klar vom bestehenden System getrennt sein, gleichzeitig aber eine kontrollierte Verbindung behalten, um Engineering-Wissen, Plattformstandards und Lessons Learned weiter nutzbar zu machen.
1. Strategische Ausgangslage: Marktveränderungen und ihre Konsequenzen
Die Automobilindustrie befindet sich in einem strukturellen Wandel. Unternehmen kämpfen mit sinkenden Margen und unsicheren Beschaffungs- und Absatzmärkten. Parallel entstehen neue Chancen in A&D, wo langfristige Programme, hohe Qualitätsmaßstäbe und geopolitisch bedingte Investitionen das Wachstum fördern.
Für PLM-Systeme bedeutet diese Marktverschiebung eine grundlegende Herausforderung: Entwicklungsprozesse, Sicherheitsstandards und regulatorische Anforderungen unterscheiden sich in A&D massiv von Automotive. Ein gemeinsames PLM-System würde diese Komplexität nicht nur erhöhen, sondern in vielen Fällen regulatorisch unmöglich machen. Deshalb bildet ein separiertes, aber integriertes PLM die Basis, um beide Geschäftsfelder parallel zu bedienen.
2. Warum ein Carve-Out notwendig wird
Beim Übergang in eine regulierte Branche reicht es nicht aus, bestehende PLM-Prozesse anzupassen. A&D verlangt klare Abgrenzung und lückenlose Auditfähigkeit. Besonders im Hinblick auf ITAR, EAR, NATO-Vorgaben oder nationale Geheimhaltungsstufen sind Unternehmen verpflichtet, eine vollkommen kontrollierte Entwicklungsumgebung bereitzustellen.
Ein Carve-Out erfüllt diese Notwendigkeit, indem er eine abgeschottete, eigenständige PLM-Instanz schafft. Diese bildet spezifische A&D-Prozesse ab und ermöglicht es, Sicherheitsklassifizierungen individuell zu steuern. Gleichzeitig können definierte Anteile von Wissen und Daten weiterhin in das Basissystem zurückfließen – jedoch nur in streng kontrollierter Form.
Die wesentlichen Gründe für einen Carve-Out umfassen:
- die Erfüllung sicherheitskritischer Regularien,
- die Abbildung eigener Entwicklungsprozesse,
- die Notwendigkeit kontrollierter Zugriffsmodelle,
- sowie das Ziel, Synergien trotz Isolation zu sichern.
3. Anforderungen an einen professionell ausgeführten PLM-Carve-Out
Ein hochwertiger Carve-Out basiert auf vier ineinandergreifenden Bausteinen.
Datenmigration und Datenqualität
Die Migration stellt eine der kritischsten Phasen dar. Unternehmen müssen exakt definieren, welche Daten für regulierte Projekte zwingend notwendig sind und welche Informationen aufgrund von Exportkontrollen nicht übertragen werden dürfen. Dabei spielen regulatorische Kriterien eine ebenso große Rolle wie technische Abhängigkeiten zwischen CAD-Strukturen, Dokumenten oder Stücklisten. Die Kunst liegt darin, Daten vollständig und konsistent mitzunehmen, ohne Compliance-Risiken zu erzeugen.
Ein besonderes Augenmerk gilt der „Right Data Selection“, da sie rechtliche Konsequenzen haben kann und maßgeblich über die spätere Nutzbarkeit des Systems entscheidet.
Technische Architektur
Der Carve-Out beinhaltet in der Regel eine vollständig separate PLM-Instanz – entweder on-premise oder in einer souveränen Cloud. Dazu kommen isolierte Vaults, eigenständige Worker Nodes und getrennte Identitätsdienste.
Trotz hoher Isolation benötigen Unternehmen weiterhin definierte Integrationspunkte. Diese sollten eventbasiert, regelbasiert und stets auditierbar sein. So lassen sich Daten synchronisieren, ohne die Sicherheitslogik zu gefährden.
Prozess- und Compliance-Design
A&D erfordert Prozesse, die detaillierte Genehmigungsketten, Traceability über den gesamten Lebenszyklus und dokumentensichere Audit Trails abbilden. Auch klassifizierte Artikel, Vier-Augen-Prinzipien oder Exportkontrollmechanismen müssen fest in den PLM-Workflow integriert werden.
Governance und Zugriffssteuerung
Ein wirksames Governance-Modell stellt sicher, dass Nutzer genau die Informationen erhalten, die sie für ihre Rolle benötigen – nicht mehr und nicht weniger. Das umfasst klar definierte Rollen, Berechtigungen, Klassifikationsregeln und Netzwerksegmentierungen. Gleichzeitig muss das System sicherstellen, dass bestimmte Unternehmensstandards weiterhin zugänglich bleiben, ohne gegen Compliance-Auflagen zu verstoßen.
4. Vorgehensmodell für den Carve-Out
Der Weg zu einer vollständig regulierten PLM-Instanz folgt einem strukturierten Modell, das sowohl technische als auch organisatorische Aspekte berücksichtigt.
Phase 1: Scoping und Compliance-Analyse
In dieser Phase werden Geschäftsbereiche, regulatorische Anforderungen und relevante Daten identifiziert. Ziel ist eine klare Abgrenzung dessen, was übertragen werden muss – und was nicht übertragen werden darf.
Phase 2: Zielarchitektur
Es entsteht ein Design, das technische Anforderungen, Sicherheitskonzepte, Prozesse und Schnittstellen definiert. Die Rahmenbedingungen für spätere Rückflüsse werden hier festgelegt.
Phase 3: Migration und Validierung
Die Daten werden extrahiert, transformiert und aufbereitet. Anschließend erfolgt die Übertragung in das neue System, begleitet durch umfangreiche Tests und Qualitätssicherungsmechanismen.
Phase 4: Integration und Synchronisation
Jetzt werden kontrollierte Datenbrücken geschaffen. Diese ermöglichen es, Wissen aus dem A&D-System in die Basisorganisation zurückzuführen, ohne regulatorische Vorgaben zu verletzen.
Phase 5: Rollout und Application Management Services
Zum Abschluss wird die neue Umgebung stabilisiert und in einen SLA-gesteuerten Betrieb überführt. Supportstrukturen sichern langfristig die Datenqualität und Systemstabilität.
5. Erfolgsfaktoren
Erfolgreiche Carve-Outs eint eine klare Governance, exzellente Datenqualität und ein strukturiertes Vorgehen. Besonders in Kontexten wie M&A, wo Zeitdruck eine Rolle spielt, sind stringente Planung und ein erfahrener Umsetzungspartner entscheidend.
Zudem zeigt die Praxis, dass nur wenige Dienstleister über die notwendige Kombination aus PLM-Kompetenz, Migrationserfahrung und A&D-Expertise verfügen. Eine vendor-nahe Umsetzung – beispielsweise durch zertifizierte PTC-Partner – erhöht Qualität, Geschwindigkeit und Compliance-Sicherheit deutlich.
6. Fazit
Ein Windchill-Carve-Out ist nicht nur eine technische Maßnahme, sondern ein strategisches Fundament für Unternehmen, die in hochregulierte Branchen expandieren wollen. Die getrennte, regulierte PLM-Umgebung bietet maximale Datensicherheit, gewährleistet Compliance und schafft gleichzeitig eine Brücke, über die Wissen und Innovationsimpulse in das bestehende Automotive-Geschäft zurückfließen können.
Unternehmen, die frühzeitig auf klare Strukturen, robuste Prozesse und höchste Datenqualität setzen, sichern sich einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil – sowohl technologisch als auch regulatorisch.
7. Ausblick: Weiterentwicklung zur integrierten Engineering-Plattform
Mit dem Carve-Out ist häufig nur der erste Schritt getan. In der weiteren Ausbaustufe rückt vor allem der Aufbau durchgängiger Schnittstellen zu ergänzenden Engineering-Systemen in den Fokus. Besonders wichtig wird die Anbindung von ALM-Systemen, um Software-, Elektronik- und Mechanikentwicklung nahtlos zu verbinden. Über diese Schnittstellen entstehen konsistente Konfigurationsstände, vollständige Traceability und ein einheitliches Change-Management über alle technischen Domänen hinweg – ein zentraler Erfolgsfaktor für komplexe A&D-Programme.
Parallel dazu gewinnt auch die Integration von Simulationsdatenmanagement (SDM) über klar definierte Schnittstellen an Bedeutung. Mit wachsender Relevanz von FEM-, CFD- und Systems-Modeling-Daten müssen Simulationsmodelle revisionssicher verwaltet, mit PLM-Objekten verknüpft und in Entwicklungsentscheidungen einbezogen werden. Eine standardisierte SDM-Anbindung sorgt dafür, dass diese Datenflüsse strukturiert, steuerbar und auditfähig bleiben.
Ergänzt werden diese Entwicklungen durch rollenbasierte Applikationen, die das bereichsübergreifende Arbeiten vereinfachen und sicherstellen, dass Nutzer lediglich die Informationen erhalten, die für ihre Aufgaben und Berechtigungen freigegeben sind.
Auf diese Weise entwickelt sich der Carve-Out perspektivisch zu einer vollständig integrierten Engineering-Umgebung, die alle relevanten Disziplinen – von Mechanik über Software bis Simulation – sicher und effizient miteinander verbindet.

